Pflegemodelle verstehen
Pflege

Pflegemodelle erklärt: ATL, AEDL, ABEDL und Strukturmodell (SIS)

Wir stellen heute die wesentlichsten Pflegemodelle vor und erklären, inwiefern sich ATL, ABEDL und Strukturmodell unterscheiden.

Pflegemodelle sind in der pflegerischen Arbeit unerlässlich. Sie versuchen, genau zu definieren, wie jeweils die Pflege abläuft und nach welchen Grundsätzen gearbeitet wird. Und „Modelle“ sollen laut des Kommunikationswissenschaftlers Schulz von Thun Zusammenhänge sichtbar und „griffig“ machen (Quelle: „Miteinander reden 4. Fragen und Antworten“, 2016).

Die verschiedenen Konzepte an Pflegemodellen

In der Pflege gibt es massenhaft Modelle. Diese unterscheiden sich nicht selten in der Gewichtung. Faktoren wie der Mensch, dessen Umgebung, die Gesundheit/Krankheit der Person sowie die Form der Pflege an sich finden Beachtung, aber jedes Modell fokussiert diese unterschiedlich stark. Insbesondere kann man zwischen folgenden Pflegemodellen unterscheiden:

  • Bedürfnismodelle: Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und die pflegerischen Probleme, die sich aus der Erkrankung der Person ergeben.

  • Interaktionsmodelle: Im Mittelpunkt steht die zwischenmenschliche Wechselbeziehung der:des Pflegebedürftigen und der Pflegekraft.

  • Ergebnismodelle: Im Mittelpunkt steht ein Ergebnis, das die Pflegekraft erreichen will. Das kann z. B. die Erlangung oder Erhaltung der Selbstständigkeit und des Wohlbefindens sein.

(Quelle: „Pflegeplanung leicht gemacht“ von Jens Kreikenbaum und Reinhard Lay, 9. Auflage, 2022)

In diesem Artikel stellen wir von der Fülle der Pflegemodelle drei genauer vor.

Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL)

Die schweizerische Ordensschwester und Krankenschwester Liliane Juchli entwickelte in den 1980ern die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) auf Basis älterer Pflegemodelle. Im Fokus sind diese zwölf der besagten Aktivitäten des täglichen Lebens:

  1. Ruhen und schlafen (u .a. Säubern des Betts, Positionierung des:der Patient:in, Schlaf beobachten)

  2. Sich bewegen (u. a. Kontraktur-, Thrombose- und/oder Dekubitusprophylaxe, Bewegungsübungen, Mobilisation, Krankengymnastik)

  3. Sich waschen und kleiden (u. a. Hilfe beim An-/Auskleiden, Körperpflege, Haut beobachten)

  4. Essen und Trinken (u. a. Kontrolle des Körpergewichts, Hilfestellung beim Essen und Trinken, ggf. Einsatz einer Ernährungssonde)

  5. Ausscheiden (u. a. Beobachtung von Urin/Stuhlgang, Inkontinenzversorgung)

  6. Körpertemperatur regulieren (u. a. Beobachtung der Körpertemperatur, Pflege bei Fieber)

  7. Atmen (Inhalation, Beobachtung der Atmung, ggf. Kontaktatmung)

  8. Für Sicherheit sorgen (u. a. Gefahren beseitigen, richtiger Umgang mit Medikamenten und sterilen Gegenständen, Infektionen verhindern)

  9. Raum und Zeit gestalten, arbeiten und spielen (u. a. Ergotherapie, Physiotherapie, Rehabilitation)

  10. Kommunizieren (u. a. Umfangreiche Kommunikation mit Patient:innen/Angehörigen/Kolleg:innen, Visite, Übergabe)

  11. Kind, Frau, Mann sein (Intimsphäre bewahren)

  12. Sinn finden im Werden, Sein, Vergehen (u. a. Angstbewältigung, Schmerzbewältigung, Unterstützung bei Sinnkrisen, Begleitung Sterbender)

Zu jeder der ATL wird – z. B. per Checkliste – analysiert, ob die betroffene Person etwas vollkommen oder teilweise selbständig, unter Anleitung oder nur bei voller Übernahme durch externe Hilfe durchführen kann. Für jedes ATL werden die jeweiligen Pflegeprobleme/Ressourcen genauer beschrieben, die Pflegeziele definiert und die benötigten Pflegemaßnahmen definiert. Ein anschauliches Praxisbeispiel einer Musterpflegeplanung nach den ATL findest du z. B. in diesem PDF.

Modell der fördernden Prozesspflege (AEDL/ABEDL)

Ein weiteres Pflegemodell ist das sogenannte Modell der fördernden Prozesspflege. Dieses ist auch unter der Kurzform AEDL bzw. ABEDL bekannt. Das Kürzel steht für „Aktivitäten, soziale Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des Lebens“ (wobei die „sozialen Beziehungen“ erst später Einzug in das Pflegemodell nahmen). Basierend auf diverse Vorläufer (u. a. den ATL) hat die Pflegewissenschaftlerin Monika Krohwinkel das Modell der fördernden Prozesspflege in den 1980ern und 1990ern entwickelt.

Verglichen zu den ATL von Juchli ist das ABEDL umfassender. Es deckt ein breiteres Spektrum an Bedürfnissen und Erfahrungen ab, die in die Pflege einfließen sollten, während ATL sich nur auf die grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens konzentriert. Die ABEDL ziehen auch die emotionalen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse einer Person in Betracht. Auf der anderen Seite wird Krohwinkels Pflegemodell aber auch nachgesagt, dass es zu umfangreich und bürokratisch ist und in der Pflegepraxis zu viel Zeit für die wesentliche Arbeit raubt.

Die 13 „Aktivitäten, soziale Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des Lebens“ nach Krohwinkel sind:

  1. Kommunizieren können (Anweisungen verstehen und darauf reagieren, Bedürfnisse verbal ausdrücken, Gespräche führen können)

  2. Sich bewegen können (selbstständig aus dem Bett steigen, selbstständig im Raum bewegen, Treppensteigen)

  3. Vitale Funktionen des Körpers aufrechterhalten können (selbstständig Medikamente einnehmen, einfach Erste-Hilfe-Maßnahmen anwenden, mit Blutzuckermessgeräten oder anderen Geräten umgehen können)

  4. Sich pflegen können (duschen/baden, Zähne putzen, Haare kämmen, kleinere Wunden versorgen)

  5. Essen und trinken können (eigenständig Mahlzeiten kochen, Besteck benutzen können, ohne Hilfe trinken können)

  6. Ausscheiden können (Toilette selbstständig nutzen können, Kontrolle für Darm-/Blasenaktivitäten haben)

  7. Sich ankleiden können (eigenständig Kleidung auswählen, an-/auskleiden, Knöpfe oder Schnürsenkel handhaben können)

  8. Ruhen und schlafen können (ohne Schwierigkeiten ein-/durchschlafen, von sich aus passende Schlafpositionen finden, angemessenen Schlaf-Wach-Rhythmus aufrechterhalten)

  9. Sich beschäftigen können (Hobbys/Interessen verfolgen, sich mit Büchern oder Spielen zu beschäftigen)

  10. Sich als Mann/Frau fühlen können (Gefühl der Identität und Zugehörigkeit zu einem Geschlecht haben, eigenständige Pflege/Hygiene des Intimbereichs)

  11. Für Sicherheit in der Umgebung sorgen können (Gefahren im Haushalt erkennen, Sicherheitsvorkehrenden gegen Stürze oder Unfälle treffen, Hilfsmittel für den Notfall – z. B. Notrufsysteme – nutzen können)

  12. Soziale Bereiche des Lebens sichern können (soziale Kontakte aufrecht erhalten und pflegen, an Veranstaltungen teilnehmen können, Empathie zeigen können)

  13. Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen können (mit Verlust/Trauer umgehen können, eine persönliche Entwicklung anstreben, spirituelle oder religiöse Praktiken eigenständig durchführen können)

Strukturmodell (mit der Strukturierten Informationssammlung, SIS)

2015 wurde das Strukturmodell inklusive der SIS, der Strukturierten Informationssammlung, entwickelt und veröffentlicht. Dieses geschah im Rahmen einer Neuausrichtung und Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. Angelehnt an das Neue Begutachtungsassassment (NBA) zur Beurteilung des der Pflegebedürftigkeit und zur Ermittlung des Pflegegrads entstand das Strukturmodell.

Nach § 113 SGB XI (elftes Sozialgesetzbuch) ermöglicht das Strukturmodell „eine praxistaugliche, den Pflegeprozess unterstützende und die Pflegequalität fördernde Pflegedokumentation“, die jedoch „über ein für die Pflegeeinrichtung vertretbares und wirtschaftliches Maß“ nicht hinausgehen darf. Konkret funktioniert das Strukturmodell – verglichen zu den ATL oder ABEDL – so: Im Praxisalltag wird nur das dokumentiert, was von der Pflegeplanung abweicht.

Das Strukturmodell besteht aus diesen vier Grundelementen:

  1. Strukturierte Informationssammlung (SIS):Einschätzen des Pflegebedarfs anhand eines fest vorgegebenen Fragebogens, das im Gespräch mit dem:der Pflegebedürftigen und dessen:deren Angehörigen ausgefüllt wird, um erforderliche Maßnahmen zu ermitteln.

  2. Maßnahmenplan: Der Pflegeplan wird individuell aufgestellt, um den Bedürfnissen gerecht zu werden. Ein strenges Schema wie bei den zwölf ATL bzw. den 13 ABEDL gibt es beim Maßnahmenplan nicht. Aber der Maßnahmenplan orientiert sich an den Daten der SIS.

  3. Berichteblatt: Für die Umsetzung des Maßnahmenplans wird das Berichteblatt verwendet. Es dient ausschließlich der Dokumentation von Abweichungen und aktuellen Ereignissen.

  4. Evaluation: Aus den drei vorangegangenen Schritten ergibt sich eine präzise Einschätzung der Pflegeeffektivität und der eventuell erforderlichen Anpassungen.

Die Qual der Wahl

Welches Pflegemodell schließlich Einzug in die berufliche Pflegepraxis findet, muss jede Pflegeeinrichtung selber entscheiden. Oft sind es routinierte Vorgänge, die dazu führen, dass man dieses oder jenes Modell beibehält. Auch umfassendere Modelle wie das ABEDL lassen sich kompakt und aufs Wesentliche fokussiert nutzen. Laut des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hätten aber Ende 2020 immerhin rund 80 Prozent der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland bereits auf das Strukturmodell gesetzt.

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Demnächst im DMRZ.de-Blog geben wir ein paar Tipps für die Umsetzung eines Pflegeplans.

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