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Die Ausbildung von Logopädie, Ergo- oder Physiotherapie an Hochschulen bringt einige Vorteile mit sich. Beispielsweise bietet die akademische Ausbildung die Möglichkeit, ausgiebig Forschung zu betreiben und darauf aufbauend evidenzbasiert, also auf Basis empirisch zusammengetragener und wissenschaftlicher Erkenntnisse, zu arbeiten. Mit Blick aufs Qualitätsmanagement spricht vieles für die hochschulische Ausbildung. Aber auch als ausschließliche Ausbildungsform für Therapieberufe? „Die bisher im Rahmen von Modellstudiengängen erfolgte akademische Ausbildung sollte verstetigt und ausgeweitet werden. Damit wird das Berufsbild der Physiotherapie attraktiver, sodass neues Personal akquiriert und dem Fachkräftemangel begegnet werden kann“, argumentiert beispielsweise die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (DKG) in einer Stellungnahme von Sommer 2021. Aber die DKG zusätzlich: „Ergänzend dazu sollte die bisherige fachschulische physiotherapeutische Ausbildung überarbeitet und an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse sowie neue Behandlungsbedarfe angepasst werden.“ Das Stichwort hier ist Teilakademisierung: Die Akademisierung ist prinzipiell gewünscht, aber nur parallel zur klassischen, berufsfachschulischen Ausbildung.
10 bis 20 Prozent Akademisierung in der Ausbildung von Therapieberufen
Die DKG steht da nicht allein. Diverse Arbeitgeberverbände, der Sehbehindertenverband, die Privatschulen oder mehrere Berufsverbände sind ebenfalls Befürworter der Teilakademisierung. Bereits 2012 hat der Wissenschaftsrat ausgiebig analysiert, wie sich die Qualifikationen für Gesundheitsberufe optimieren lassen. Das Urteil: „Der Wissenschaftsrat ist der Auffassung, dass eine hochschulische Ausbildung nicht für alle Angehörigen der Gesundheitsfachberufe erforderlich ist und auch in Zukunft voraussichtlich nicht erforderlich sein wird. (…) Angesichts des absehbaren Versorgungsbedarfs und des Komplexitätszuwachses in Aufgabenbereichen der (…) Therapieberufe (…) hält es der Wissenschaftsrat für sinnvoll, zwischen 10 und 20 % eines Jahrgangs in den Pflege- und Therapieberufen und im Hebammenwesen auf hochschulischem Niveau auszubilden.“
Diese Akademisierungsquote in Höhe von 10–20 Prozent wird auch heute noch von Befürwortern der Teilakademisierung – beispielsweise dem VDB-Physiotherapieverband – empfohlen. „Der VDB-Physiotherapieverband sieht den Bedarf für akademisch ausgebildete Physiotherapeuten mit Abschlüssen ab Bachelor wie der Wissenschaftsrat etwa bei 10–20 Prozent der Berufsangehörigen“, wird als Ziel des Verbands genannt. „Künftig bedarf es eines begrenzten Anteils akademisch gebildeter Praktiker für Forschung und Lehre sowie zur Leitung von größeren Teams und Einrichtungen bei der Bewältigung komplexer Behandlungsaufgaben.“
Ein Argument für den Erhalt der berufsfachschulischen Ausbildung in Heilmittelberufen ist die berufliche Praxis: „In Gesundheitsfachberufen ist der Anteil der wissenschaftlichen Tätigkeit in der täglichen Arbeit mit den Patient:innen gering und eine akademische Ausbildung dafür nicht erforderlich“, sagt auch der deutsche Privatschulverband. „Eine der großen Stärken der berufsfachschulischen Ausbildung ist ihre hohe Praxisnähe bei zugleich umfangreichen theoretischen Anteilen.“ Die Auszubildenden seien dadurch auf die Berufstätigkeit am besten vorbereitet.
Was sind Heilmittel wert? Wie gut wird ein Plus in der Ausbildung bezahlt?
Die Diskussion ist, ob es erforderlich ist, dass alle Therapeut:innen zukünftig das Wissen haben sollten, das eine hochschulische Ausbildung vermitteln kann. Oder ob lediglich eine bestimmte Gruppe (z. B. die genannten 10 bis 20 Prozent) speziell die Aufgaben erledigt, die mit der akademischen Ausbildung zusammenhängen. Die DKG findet z. B. dass akademisch ausgebildete Therapeut:innen besonders für Leitungstätigkeiten qualifiziert seien. „Hinsichtlich der Versorgungsqualität ist eine spürbare Verbesserung zu erwarten“, prognostiziert die DKG. „Dies ist im fachschulischen Bereich auf die Überarbeitung der bestehenden Ausbildungsverordnung zurückzuführen, in der hochschulischen Ausbildung werden angehende Physiotherapeutinnen und -therapeuten intensiver qualifiziert, auf der Grundlage aktueller und evidenzbasierter wissenschaftlicher Kenntnisse Therapiesitzungen zu planen und durchzuführen. Eine verbesserte Versorgungsqualität sollte umgekehrt auch honoriert und besser vergütet werden.“
Und genau das ist der Punkt, der insbesondere im Fall der Vollakademisierung schwierig werden könnte: Wird eine verbesserte Versorgungsqualität auch wirklich besser vergütet? Sind Gesetzgeber und Krankenversicherungen und schließlich auch die Versicherten bereit, diese Verbesserung zu bezahlen? Und zwar – im Falle der Vollakademisierung – an sämtliche Therapeut:innen? Oder wird vielmehr erwartet, dass das Plus an Versorgung mit den bisher üblichen Vergütungen abgerechnet werden sollen?
Die Debatte um die Akademisierung der Heilmittelberufe hängt also stark mit der Diskussion zusammen, welche Stellung Heilmittel grundsätzlich haben werden. Und wie viel Verantwortung.
Bewährte Ausbildungsform spricht für eine Teilakademisierung
Ein Argument für die Teilakademisierung ist, dass sich die berufsschulische Ausbildung von Therapieberufen (zumindest nach Ansicht des Privatschulverbands) bewährt hat. Und ob sich eine Vollakademisierung bewähren wird, kann aktuell nur erahnt werden. „Inwieweit eine Überführung des Ausbildungsmodells in die Vollakademisierung zu mehr Qualität und Attraktivität führt, bleibt eine Vermutung und kann weder wissenschaftlich noch aus Beispielen anderer Berufsfelder praktisch belegt werden“, so der Privatschulverband. „Während es einerseits keinen Nachweis gibt, dass theoretisches Wissen an einer Hochschule besser vermittelt wird als im schulischen Kontext, ist andererseits sicher, dass die enge praktische Verzahnung dort auf der Strecke bleibt.“
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Vollakademisierung überhaupt umsetzbar wäre. Laut des Deutschen Verbands für Physiotherapie (ZVK) – übrigens einem Befürworter der Vollakademisierung – bestand der Akademisierungsanteil unter allen Auszubildenden der Physiotherapie 2017/2018 etwa 10 Prozent. Wie realistisch ist da eine Quote von 100 Prozent? „Es ist höchst fraglich, inwiefern es kurz- bis mittelfristig überhaupt gelingen kann, entsprechende akademische Ausbildungskapazitäten zu schaffen“, urteilt die DKG. Allein deshalb schon halten viele Befürworter der Teilakademisierung die vorgeschlagene Quote des Wissenschaftsrats fest.
Geld zahlen oder verdienen: Schulgeld oder Ausbildungsvergütung
Ein großes Thema in der Berufsausbildung ist das Geld. In der hochschulischen Ausbildung ist es üblich, Semestergebühren zu zahlen. Befürworter der Vollakademisierung werden vermutlich auch zukünftig nichts daran ändern, sondern das gesparte Geld eher in die Weiterentwicklung der Studiengänge stecken. Die klassische Ausbildung ist dagegen attraktiver – denn hier besteht oft die Möglichkeit, während der Ausbildung eine Vergütung zu erhalten. Doch ganz so glorreich ist das Thema leider doch nicht: Denn während es in vielen Berufen Standard ist, in der Ausbildung ein Lohn zu erhalten, ist das bei den Therapieberufen leider nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Je nach Bundesland besteht die Gefahr, dass die Azubis Schulgeld zahlen müssen. Hier besteht also in der Tat noch Reformbedarf. (Ein Thema, dem wir uns in einem späteren Blogartikel ausführlicher widmen werden.)
Mit geringeren Ausbildungsvoraussetzungen gegen den Fachkräftemangel
Mit Blick auf das Thema Fachkräftemangel bietet die berufsfachschulische Ausbildung weit mehr Menschen die Möglichkeit, ein Therapieberuf zu erlernen, als die hochschulische Ausbildung. „Die Fachschulen stützten eine inklusive Ausbildung in der Physiotherapie und ermöglichen damit Menschen mit Behinderung Zugang zur Berufsausbildung“, erklärt beispielsweise der VDB. „Insbesondere Menschen mit Sehbehinderung biete die Physiotherapie berufliche Teilhabe.“
Die Voraussetzungen für die klassische Berufsausbildung sind geringer als bei der akademischen Ausbildung. Mittlere oder gar untere Schulabschlüsse reichen in der Regel, um mit der Ausbildung zu starten. Laut des Privatschulverbands würden in etwa 60 Prozent der Auszubildenden eine mittlere Reife haben. „Durch die Vollakademisierung werden junge Menschen ohne (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung vom Zugang in die Ausbildung ausgeschlossen“, sagt der Privatschulverband. „Es bestünde damit die Gefahr einer Fachkräfteverknappung in diesem Bereich“, ergänzt die DKG in ihrer Stellungnahme, „eine Vollakademisierung würde den bestehenden Personalmangel weiter verstärken.“
Viel mehr setzen sich die Befürworter der Teilakademisierung für die Möglichkeit eines Weiterbildungsstudiums zur Erweiterung der üblichen Berufsausbildung ein. „Spezifische Chancen der Teilakademisierung als Stufenmodell liegen darin, dass die berufsfachschulische Ausbildung jenen Auszubildenden die Basis für ein Studium bieten kann, die aufgrund ihres Schulabschlusses bislang zunächst kein Studium aufnehmen können“, sagt der Privatschulverband. „Neben dem Zugang der Absolvierenden der Berufsfachschulen zu den Fachhochschulen umfasst dies z. B., dass in die Ausbildung auch Inhalte aufgenommen werden, die sich in einem späteren Studium anrechnen lassen.“ Außerdem würden laut des Privatschulverbands weit mehr Personen (nämlich 90 Prozent) ein Studium erfolgreich beenden, wenn sie vorher eine Ausbildung absolviert haben. Und nur 50 Prozent jener, die ohne vorherige Ausbildung studieren, würden ihren Abschluss machen.
„Ein erheblicher Reformbedarf“
Die Berufsfachschulausbildung hat sich nach Aussage der Teilakademisierungs-Befürworter bewährt. Und doch ist vielen auch bewusst, dass sie nicht perfekt ist: „Insbesondere bei der Vermittlung von Kenntnissen in der Prävention und der Anwendung digitaler Dienste im Verlauf des Therapieprozesses besteht in der aktuellen Ausbildungsordnung erheblicher Reformbedarf“, so die DKG.
Also weiterhin die Berufsfachschulen zur Ausbildung von Therapieberufen erhalten, aber ausgiebig reformiert und an den zukünftigen Heilmittelbedarf angepasst. Und natürlich muss eine Teilakademisierung auch konkret definiert werden, um Klarheit zu schaffen. „Um das Nebeneinander von fachschulischer und akademischer Ausbildung sinnvoll und reibungslos auszugestalten, sollten die Zuständigkeiten und Kompetenzen eindeutig definiert werden“, erklärt die DKG.
In unserem nächsten Beitrag zum Fachkräftemangel in den Therapieberufen sprechen wir mit Wolfang Oster vom VDB-Physiotherapieverband. Er sagt uns, warum er für die Teilakademisierung ist.
Die Vollakademisierung: Therapieberufe nur noch hochschulisch ausbilden?
Interview mit Bernhard Borgetto (Bündnis Therapieberufe) zur Vollakademisierung: Teil 1, Teil 2 und Teil 3
Interview mit Isabella Hotz (HochschuleJetzt!) über die Hochschulausbildung von Therapieberufen
Strategiepapier: Wie die Vollakademisierung von Therapieberufen aussieht