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Heilmittel-Umsätze steigen – doch der Fachkräftemangel bleibt

Der neue Heilmittelbericht zeigt höhere Umsätze infolge gestiegener Vergütungen. Doch die Zahlen der Auszubildenden ziehen kaum nach.

332 verschiedene Heilmittel standen den bundesweit rund 74 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 2023 zur Verfügung. In welchem Umfang aber haben Patient:innen sie in Anspruch genommen und was waren die häufigsten Versorgungsanlässe? Wie haben sich Kosten von Heilmittelverordnungen und Therapie-Umsätze in den einzelnen Leistungsbereichen entwickelt? Diesen und weiteren Fragen hat sich das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) jüngst im Heilmittelbericht 2024 gewidmet.

Für diesen Bericht stützt sich das WIdO auf Angaben des Statistischen Bundesamts sowie auf pseudonymisierte Daten ihrer Versicherten. Wir haben uns den Mitte Dezember veröffentlichten Bericht genauer angesehen und geben Dir einen Einblick in seine Ergebnisse. Und: Was bedeuten sie für die künftige Heilmittelversorgung?

So verteilen sich verordnete Heilmitteltherapien auf die Leistungsbereiche

Für die rund 74 Millionen GKV-Versicherten wurden 2023 insgesamt rund 332 Millionen einzelne Behandlungen (Behandlungssitzungen) abgerechnet. Im Vergleich zum Vorjahr (317 Millionen) ist das eine Zunahme um 4,6 Prozent.

Von ihnen entfällt der mit Abstand größte Teil auf die Physiotherapie. In den Leistungsbereichen Ergotherapie, Logopädie (Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie) und Podologie ist die Zahl abgerechneter Heilmitteltherapien wesentlich niedriger.

‍Heilmittel Leistungsbereich Physiotherapie Ergotherapie Logopädie (SSSST) Podologie
‍Verordnete Heilmittel 2023 264,6 Millionen 31,1 Millionen 20 Millionen 16,4 Millionen

Im letzten Jahrzehnt verdoppelte sich der Heilmittelumsatz

Der Heilmittelumsatz aller gesetzlichen Krankenkassen (Leistungsausgaben der GKV und Zuzahlung von Patient:innen) betrug 2023 rund 12,2 Milliarden Euro. Je 1.000 GKV-Versicherte wurden Therapien im Wert von 164.792 Euro abgerechnet, womit der Heilmittelumsatz pro 1.000 GKV-Versicherte 9,4 Prozent über dem des Jahres 2022 liegt.

Mit Blick auf die langfristige Umsatzentwicklung der Heilmittelversorgung in Deutschland fällt eines dabei besonders ins Auge. 2014 betrug der Heilmittelumsatz aller gesetzlichen Krankenkassen 2013 rund 5,36 Milliarden Euro. Binnen eines Jahrzehnts hat sich der Umsatz aus Heilmittelbehandlungen mehr als verdoppelt, und damit auch die Ausgaben für die Krankenkassen.

Nur geringer Zuwachs von Versicherten und Heilmittelverordnungen

Wie aber kam es zu dieser Entwicklung? Ein Blick in den WIdO-Heilmittelbericht 2014 zeigt: 2013 wurden kassenübergreifend rund 285 Millionen einzelne Behandlungssitzungen von Heilmittelerbringer:innen abgerechnet. 2023 waren es laut aktuellem Heilmittelbericht 332 Millionen – die Umsatzverdopplung von Heilmittelbehandlungen innerhalb eines Jahrzehnts erklärt das nicht.

Ebenso wenig kann es die Zahl gesetzlich Krankenversicherter erklären, oder das Volumen ausgestellter Heilmittelverordnungen im Zehn-Jahres-Vergleich, wie die-Autor:innen des Heilmittelberichts 2024 in einer beigefügten Pressemitteilung informieren: Heilmittelverordnungen nahmen binnen eines Jahrzehnts nur um 5,7 Prozent zu.

Preise für Heilmittelverordnungen stiegen in zehn Jahren um gut 50 Prozent

Verursacht wurde der so große Umsatzanstieg – beziehungsweise Kostenanstieg für Krankenkassen – im Heilmittelbereich „nahezu ausschließlich von den gestiegenen Preisen für Behandlungen der Physio-, Ergo-, Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie sowie der Podologie“, führen die WIdO-Autor:innen aus.

Im Schnitt aller Leistungsbereiche kostete eine Heilmittelverordnung 2023 durchschnittlich 324,68 Euro. Das ist etwa doppelt so viel wie 2014: Hier belief sie sich auf durchschnittlich 161,35 Euro.

  Physiotherapie Ergotherapie Logopädie (SSSST) Podologie
Ohne Zusatzleistungen * 248 € 576 € 659 € 207 €
Mit Zusatzleistungen * 273 € 642 € 705 € 218 €
* z. B. Hausbesuche oder Wegepauschalen        

Zu den im Zehn-Jahres-Vergleich deutlich gestiegenen Ausgaben für die Heilmittelversorgung aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen äußerte sich WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder: „Ursache der Ausgabensteigerungen sind in erster Linie gesetzliche Neuregelungen zur Angleichung des Vergütungsniveaus an die höchsten regionalen Preise“, resümierte Schröder in einer dem Bericht beigefügten Mitteilung.

Preissteigerungen bei Heilmitteln würden nur bedingt bei Therapeut:innen ankommen

In der Entwicklung der Entgelte für Heilmittelerbringer:innen sieht der WIdO-Geschäftsführer „noch deutlich Luft nach oben“. Da die Gehaltsentwicklung von Heilmittelerbringer:innen im WIdO-Heilmittelbericht 2024 nicht explizit aufgeführt ist, wollen wir einen Blick in den Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit werfen. Die folgende Tabelle listet die bundesdurchschnittlichen Brutto-Monatsentgelte von in Vollzeit angestellten Heilmittelerbringer:innen (außerhalb stationärer Einrichtungen) der letzten Jahre auf.

Brutto-Monatsentgelte Heilmittelerbringer:innen (angestellt, Vollzeit) 2017 Steigerung zum Vorjahr 2018 Steigerung zum Vorjahr 2019 Steigerung zum Vorjahr 2020 Steigerung zum Vorjahr 2021 Steigerung zum Vorjahr 2022 Steigerung zum Vorjahr STEIGERUNG 2022 ZU 2017
Physiotherapie 2.120 € 3,6 % 2.221 € 4,7 % 2.359 € 6,2 % 2.433 € 3,2 % 2.577 € 5,9 % 2.744 € 6,5 % 29,4 %
Ergotherapie 2.286 € 4,1 % 2.380 € 4,1 % 2.517 € 5,8 % 2.606 € 3,5 % 2.756 € 5,8 % 2.926 € 6,1 % 28 %
Logopädie (SSSST) 2.204 € 3 % 2.308 € 4,7 % 2.471 € 7,1 % 2.595 € 5 % 2.796 € 7,7 % 2.954 € 5,7 % 34 %

Zwar stiegen die durchschnittlichen Brutto-Monatsentgelte ambulanter Heilmittelerbringer:innen in fünf Jahren zwischen 28 Prozent bis 34 Prozent. Jedoch bemängeln die Krankenassen, dass die Umsatzsteigerungen für ambulante Praxen der Heilmittelversorgung nur bedingt, das heißt zum Teil an angestellte Therapeut:innen weitergegeben werden.

So wies das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) in einem eigenen Heilmittelreport 2024 darauf hin, dass Physiotherapeut:innen bereits 2022 mit jeder Heilmittelverordnung einen Mehrumsatz von 57 Prozent gegenüber 2017 erzielten. Ihr Gehalt gegenüber 2017 stieg jedoch nur um 29,4 Prozent.

Wünschenswert wäre, so Schröder weiter, „dass die Preissteigerungen auch in Form höherer Vergütungen bei den Beschäftigten in den Heilmittelberufen ankommen und helfen, die Attraktivität dieser Berufe zu steigern“. Um langfristig eine qualitativ hochwertige Versorgung zu sichern, sei dies seiner Ansicht nach zwingend notwendig.

Dem entgegensetzen muss man jedoch auch, dass die Kosten in allen Bereichen steigen. Die Gefahr ist also hoch, dass erhöhte Leistungszahlungen deshalb nur in Teilen bei den Angestellten ankommen, weil Miete, Strom, Heizung, EDV, Firmenwagen, Hilfsmittel und Geräte für die Therapien etc. ebenfalls teurer geworden sind. Es zeigt sich: Es braucht mehr, als nur stärkere Ausgaben der Krankenkassen, um die Heilmittelbranche anzukurbeln.

Umsatzsteigerungen im Heilmittelbereich können den Fachkräftemangel nur kaum beheben

Denn trotz gestiegener Gehälter von Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen sowie Podologi:nnen kämpfen die Therapieberufe mit einem Fachkräftemangel.Verstärkt werden die niedrigen Auszubildenden-Zahlen zudem vom demographischen Wandel. Im Zuge der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft gehen langfristig mehr Therapeut:innen in Rente als nachrücken, zudem steigt mit ihr der gesellschaftliche Bedarf an Heilmitteln.

AOK-Gemeinschaft fordert Ausbildungsreformen für Heilmittelberufe

Zur Veröffentlichung des WIdO-Heilmittelberichts 2024 formulierte auch AOK-Bundesverband-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann ein Statement zu niedrigen Ausbildungszahlen trotz gestiegener Gehälter in den Heilmittelberufen: „Offenbar reichen mehr finanzielle Mittel allein nicht aus, um dem Fachkräftemangel im Heilmittelbereich zu begegnen“, resümierte sie.

Deshalb fordert Reimann „grundlegende Ausbildungsreformen, um die therapeutische Berufe für junge Leute wieder attraktiver zu machen“. Diese hatte die AOK-Gemeinschaft bereits im Vorfeld des sogenanntenTherapie-Gipfels im November formuliert und in einem Positionspapier publiziert. Als Ziele sind darin mitunter folgende benannt:

  • Ausbildungen im Heilmittelbereich qualitativ aufzuwerten und zu vereinheitlichen.
  • Zertifikatsleistungen deutlich stärker in die Ausbildung zu integrieren, um Absolvent:innen vor kostenintensiven Weiterbildungen zu bewahren.
  • Heilmittelerbringer:innen mehr Raum für Therapieentscheidungen zu geben.
  • Eine Schulgeldfreiheit für Ausbildungen in Heilmittelberufen bundesweit zu verankern.

Zudem fordert die AOK-Gemeinschaft ein Nebeneinander von Fachschul- und Hochschul-Ausbildungen für Heilmittelerbringer:innen. Deshalb begrüßt sie den Mitte 2024 vorgebrachten Entwurf zum Physiotherapieberufe-Reformgesetz (PhyThBRefG), der die Teilakademisierung von Heilmittelberufen voranbringen will. Willst Du mehr zur Teilakademisierung im Heilmittelbereich und dem PhyThBRefG-Entwurf erfahren? Dann findest Du hier die passenden Artikel.

 

Der Heilmittelbericht 2024 (PDF)

 

Pressemitteilung zum Heilmittelbericht

 

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